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Stillgart und der Zensus

Es ist fast schon wie ein Ritual: Nach dem Zensus kommt die Bereinigung der Einwohnerzahl, an der die stadteigenen Berechnungen immer nah dran sind, aber jene des Statistischen Landesamtes regelmäßig darüber hinausgehen. Insofern scheint die Stadt hier gut zu arbeiten. Soweit zum behördlichen Teil.

Stuttgart ist mit dem Zensus zufolge nach langer Zeit unter Deutschlands Metropolen auf Platz 7 abgerutscht. Düsseldorf hat sich nach vorne geschoben. Man kann sich nun darüber streiten, ob das wichtig ist oder nicht. Als Symbolik hat das ganze aber dann doch eine große Reichweite. Wenn man Düsseldorfs Entwicklung betrachtet, die Idee neuer schicker Hochhäuser und wenn man Leipzigs Lust auf Wachstum sieht, das noch hinter Stuttgart liegt, dann muss man vermuten, dass Stuttgart noch weiter zurückfällt und eben nicht nur in der Einwohnerstatistik. Diese Stadt ist Stillstand. Für ein vergleichbar kleines Baugebiet wie auf dem ehemaligen Güterbahnhofsgelände in Cannstatt braucht es vom ersten bis zum letzten Gebäude viele Jahre. Auf den potenziellen Flächen, wie am Autobahnkreuz oder im Stadtteil Stöckach, herrscht Stillstand. Um aus einem Schlösschen (Villa Berg) ein Haus der Musik zu machen, was es ja vorher eigentlich schon teilweise war, braucht man eine Ewigkeit. Der Leuzeknoten und Stuttgart 21 sind zeitlich und finanziell völlig aus dem Ruder gelaufen.

Was besonders erschreckend ist, es gibt überhaupt keine Visionen mehr. Die wenigen, die man hatte, wie die City Prag und Stuttgart 21, wurden zu Schatten ihrer selbst. Seither gibt es in der Stadtverwaltung eine Fortschrittsintoleranz. Während fast alle anderen europäischen und deutsche Städte dieser Größe neue Stadtviertel planen, mutige Verkehrsprojekte und schicke Hochhäuser, passiert hier nichts, außer die ewige Hoffnung auf das Rosensteinviertel und darauf, dass doch bitte der Siedlungsdruck nachlasse. Dass das Rosensteinviertel bei weitem nicht den Bedarf an Wohnraum decken wird, ist seit Jahren klar. Auch dass hier vor den 30er-Jahren nichts Größeres passiert. Das Ideenkleinklein ist für solch eine Stadt, die einmal für Fortschritt stand, beschämend. Längst müsste man zwei, drei neue Wohngebiete planen um dem Zuzug gerecht zu werden, auch dem Status einer Landeshauptstadt. Doch potenzielle Gebiete wie das Birkacher Feld, Hausen-Nord und Stammheim-Ost kommen über den Status einer vagen Vorstellung nicht hinaus.

Vom Gemeinderat hört man kaum was, vom Oberbürgermeister gar nichts. Die Stadtführung hat eine gefährliche Sattheit erlangt, zeigt keine Freude mehr an Stadtentwicklung. Klar, manchmal steht die Bahn im Weg, manchmal das Land, nun auch noch die EnBW. Und jetzt? Man hat nicht das Gefühl, dass hier mit Nachdruck verhandelt wird. Man ist wohl eher froh, das andere am Stillstand Schuld haben. Da waren die Wege früher kürzer, zum Beispiel zwischen Oberbürgermeister und Ministerpräsident. Heute ist nur noch ein Hauch davon übrig. Viele engagierte Bürgerinitiativen enden im Frust, seien es die Kämpfer für StaLa-Areal, Villa Berg, Garnissonsschützenhaus oder auch der Aufbruch Stuttgart. Auch von den Bürgerpionieren des Rosensteinviertels sind schon viele ernüchtert und zum Schluss wird auch davon nicht mehr viel übrig bleiben.

Die beiden anderen Südmetropolen München und Frankfurt haben uns längst abgehängt was Stadtideen angeht und andere Städte rücken nach. Leider nehmen es die Stuttgarter Bürger so hin. Von den Zuwanderern kommt wenig, den Alten ist es vielleicht recht, wenn alles so bleibt wie es ist, und dazwischen findet keine „Widerstandsgruppe“ den Weg nach oben. Von der Stadt kommen jede Menge Entschuldigungen für die Dinge die nicht funktionieren. Eigentlich müsste es einen neuen Aufbruch Stuttgart geben, der vielleicht nicht in Vereinsstatuten gepresst ist, sondern als Bewegung der Stuttgarter Kreativen, die einfach immer wieder mit kreativen Beiträgen Druck auf die Stadt ausüben. Und Druck, das ist für unsere Verwaltung jeder, der eigen Ideen entwickelt. Der gerade in Auflösung begriffenen Aufbruch Stuttgart kann ein Lied davon singen. Er wurde von der Stadt nicht als Bereicherung, sondern als Konkurrent angesehen und so ist man mit ihm umgegangen. Doch was war hier die Konkurrenz? Ideen gegen Stillstand? Das sind doch eigentlich Gegensätze. Stuttgart + Stillstand = Stillgart!

Der letzte Ausweg ist für mich die Presse. Nur wenn die großen Blätter bunte und schöne Fortschrittsideen aus der Bürgerschaft bringen, dann könnte ein Umdenken stattfinden. Das wäre eine große Serie, die man über Monate durchziehen könnte. Die Lokalpresse ist die einzig mögliche Plattform der Bürgerideen, denn die Stadtverwaltung ist es nicht.